Immer wieder werden wir bei WIR - Kinder der Erde gefragt, ob unsere Ausbildung Tiergestützte Erlebnispädagogik „zertifiziert“ sei. Deshalb gleich vorweg: nein, ist sie nicht. Wir haben dafür eine ganze Reihe von Gründen und legen diese im Folgenden einmal offen.
Tiergestützte Arbeit & Intervention und „Zertifizierungen"
Der wichtigste Grund dafür, dass wir unsere Ausbildung Tiergestützte Erlebnispädagogik nicht haben „zertifizieren“ lassen, liegt darin, dass „Zertifizierungen“ im Bereich Tiergestützte Arbeit & Intervention bislang keine wie auch immer gearteten „öffentlich-rechtlichen Anerkennungen“ darstellen. Es existieren zwar diverse Anbieter von Ausbildungen, Registrierungen und auch „Zertifizierungen“. Diese sind aber rein privatrechtlicher Natur. Das bedeutet, dass es sich bei den Anbietern – genau wie bei WIR - Kinder der Erde – um privatrechtliche Organisationen handelt, meist in Form von Vereinen und Verbänden – Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) also. In allen dieser NGOs sind Praktiker organisiert, die selbst Anbieter von Tiergestützter Therapie, Tiergestützter Pädagogik, Tiergestützten Fördermaßnahmen und/oder Aktivitäten sind oder waren und vielfach – parallel zu ihrer Verbands- und Zertifizierungstätigkeit – mit eigenen Schulen, Unternehmen und Institutionen im Bereich „Tiergestütztes“ wirtschaften.
Hinzu kommt, dass die „Anerkennung“ einer NGO in der Öffentlichkeit einzig und allein aus Marketingmaßnahmen resultiert, nicht aus irgendwelchen „staatlichen“ Kompetenzen. Deshalb kann und könnte jeder Verein, Verband oder sonstige Anbieter, der bereits besteht oder sich gründet, beschließen, „Zertifizierungen“ aufzulegen. Es bedarf dazu keiner behördlichen Erlaubnis oder staatlichen Zulassung. Eben weil alles rein privatwirtschaftlich organisiert ist. Das erklärt auch, warum Zertifizierungen mit sehr hohen Kosten verbunden sind, sowohl hinsichtlich einer Zertifizierung als solcher als auch in Bezug auf die dauerhafte Aufrechterhaltung einer Zertifizierung. Wir von WIR - Kinder der Erde investieren unsere Gewinne aber lieber in die eigene Weiterbildung und in die Weiterentwicklung unserer Angebote. Wir denken, dass unsere Kursteilnehmer davon sehr viel mehr profitieren als von dem Siegel einer NGO. Das ist der zweite Grund, warum wir von einer „Zertifizierung“ unserer Ausbildung Tiergestützte Erlebnispädagogik abgesehen haben und absehen.
Einzigartigkeit ist nicht zertifizierbar?
Der dritte Grund für unseren „Mut zur Lücke“ ist darauf zurückzuführen, dass wir im Rahmen einer wie auch immer gearteten „Zertifizierung“ all unsere Konzepte, Ausbildungsmaterialien und Hintergründe gegenüber „jemandem“ offenlegen müssten – eben dem Jemand, der unsere Ausbildung Tiergestützte Erlebnispädagogik „zertifizieren“ würde. Einem Jemand mit eigenen wirtschaftlichen Interessen. In anderen Bereichen, in denen WIR - Kinder der Erde unterwegs ist, haben wir die sehr unangenehme Erfahrung gemacht, dass vermeintliche „Zertifizierer“ aus unseren Unterlagen Ideen, Ansätze und sogar ganze Verfahren übernommen und in ihre eigenen Programme eingefügt haben.
Nicht zuletzt kann ein beträchtlicher Teil unseres Know-hows – gerade in der Tiergestützten Erlebnispädagogik – von den Verantwortlichen für die verschiedensten „Zertifizierungen“ gar nicht wirklich beurteilt werden. Denn unser Konzept vereint in sich Bereiche, Erfahrungen und Hintergrundwissen, über das bislang kein Zertifizierer verfügt, weil das nie Teil ihrer eigenen Qualifikationen und Berufserfahrungen war. Das gilt auch im Hinblick auf die Arbeit mit den Tieren, die bei uns gerade nicht „speziell ausgebildet“ sein müssen oder werden, sondern so wie sind – gleichsam als „sie selbst“ – tragende Säule der Ausbildung sind. Tiere, die „funktionieren“, können nach unserem Konzept ihre ureigene Aufgabe in der Erlebnispädagogik nicht gut erfüllen: das Handicap bzw. schwächste Glied der Gruppe zu sein, deren Aufgabe es ist, eben auch dem schwächsten Glied zu ermöglichen, seinen Beitrag zum Gelingen einer Aufgabe beizutragen.
Werden Tiere so in der Erlebnispädagogik eingesetzt, steigern sie den Schwierigkeitsgrad erlebnispädagogischer Aktionen. Es ist aus unserer Sicht zwar „schön", wenn Tiere im erlebnispädagogischen Einsatz „funktionieren“, und man kann dann auch wunderbare Aktionen gestalten. Deshalb geben wir dem Handwerk des Tiertrainings innerhalb der Ausbildung auch so viel Raum und lehren, wie man das Prinzip der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg auf Tiere anwendet. Wir tun das aber vorrangig mit dem Ziel, dass unsere Teilnehmer lernen, wie sie die Tiere, mit denen sie arbeiten möchten, für ihre ganz individuellen Bedürfnisse und Anforderungen selbst ausbilden können. Denn die Erlebnispädagogik ist sehr viel interessanter, herausfordernder und lehrreicher, und sie entfaltet ihr pädagogisches Potenzial auch erst richtig, wenn die Tiere, die zum Einsatz kommen, nicht ohne weiteres alles „mitmachen“, sondern zunächst befähigt werden müssen – und zwar von den Klienten im Rahmen einer Aktion und auf Augenhöhe mit den menschlichen Teilnehmern. Die Hunde, die bei uns zum Kurs mitgebracht werden dürfen, sind entsprechend auch nicht nur „Begleiter zum Üben“, sondern gleichwertige Kurs-Teilnehmer.
In all dem ist unser Kurs Tiergestützte Erlebnispädagogik weltweit einmalig und im Grunde gar nicht zertifizierbar. Er passt nicht in Kategorien, und er ist auch nicht nur für Pädagogen interessant, sondern auch für Psychologen, Sozialarbeiter oder Eltern, die Tiere und Elemente aus der Erlebnispädagogik in ihre Arbeit integrieren möchten.
Befähigung statt Zertifizierung
Unsere Ausbildung konzentriert sich auf Befähigung, nicht auf „Titel“, „Label“ oder „Siegel“. Wir wollen, dass unsere Teilnehmer nach der Ausbildung in der Lage sind, selbst neue erlebnispädagogische Aktionen mit Tier zu erfinden und zu entwickeln. Wir wollen, dass sie selbst die Tiere ausbilden können, die sie für ihre einzigartigen und bereichsspezifischen Aktionen brauchen und selbst die Verantwortung für das übernehmen, was sie im Bereich der Tiergestützten Arbeit & Intervention in die Welt bringen. Wir möchten, dass sich unsere Teilnehmer durch nichts ausbremsen lassen und ihr ganz eigenes Ding verwirklichen. Wir wollen, dass sie erfahren, wie das geht. Wir sehen uns insoweit mehr wie Mentoren oder wie eine Startbahn, von der aus jeder unserer Teilnehmer allein und unabhängig zu fliegen lernt. Diese Fähigkeit kann keine Zertifizierung ersetzen oder auch nur garantieren.
Besser als jede Zertifizierung ist …
aus unserer Sicht der Erwerb eines Sachkundenachweises für den Einsatz von Tieren in Therapie, Pädagogik etc. Dieser Sachkundenachweis wird in einem Fachgespräch beim zuständigen Veterinäramt erbracht (zuständig ist immer das Veterinäramt, in dessen Einzugsbereich man als jeweiliger Anbieter wohnt). Auf diesen Sachkundenachweis bereiten wir im Kurs Tiergestützte Erlebnispädagogik vor. Das Einzige, was wir hier nicht abdecken können, ist die Ethologie der einzelnen Tierarten, denn das würde den Rahmen der Ausbildung sprengen – gerade, weil man so ziemlich alle Haus- und Heimtierarten in erlebnispädagogische Aktionen einbeziehen kann (wir hatten sogar mal eine Teilnehmerin, die am Ende mit Bartagamen arbeitete). Im Kurs arbeiten wir beispielhaft mit Hunden, da man diese am einfachsten zu Seminaren mitnehmen kann.
In der Haftung ist man immer
Was die Versicherung und Haftung betrifft, so wird man durch eine Zertifizierung davon auch nicht frei. Als Anbieter von Tiergestützter Arbeit & Intervention ist man immer in der Haftung, deshalb kommt man um eine Berufshaftpflichtversicherung nicht herum. Die Erlebnispädagogik als solche braucht eine eigene Versicherung. Es gibt mittlerweile aber mehrere gute Versicherungsanbieter, die auch die speziell in der Erlebnispädagogik eingesetzten Tiere mitversichern. Wir kooperieren innerhalb unseres Kurses daher auch mit einem Versicherungsfachmann, der für uns als Dozent im Bereich Haftung & Versicherung tätig ist.
Text: Judith Böhnke, Fotos: Pixabay