Das weibliche Fundament der Wildnispädagogik

Das weibliche Fundament der Wildnispädagogik

Das weibliche Fundament der Wildnispädagogik

Vielleicht werdet ihr euch über diese Headline wundern: „Das weibliche Fundament der Wildnispädagogik“. In der Wildnis steht Survival im Vordergrund – das Überleben in der Natur. Schwere körperliche Arbeit, Extremsituationen und vielleicht auch Überlebenskampf. Dies ist nichts für schwache Gemüter.

Und doch ist das Fundament der Wildnispädagogik, basierend auf den Lehren von Tom Brown jr. und Jon Young weiblich. Die achtsame Naturverbindung, wie sie bei WIR – Kinder der Erde gelehrt wird, basiert auf ursprünglichen weiblichen Werten, dass auch von Jon Young immer wieder angesprochen wurde.

Welche Werte bilden die Basis der Wildnispädagogik?

Zum einen die Einstellung der Verbundenheit. Wir alle sind in dem Netzwerk des Lebens miteinander verbunden. Der Mensch ist ein wichtiger Teil des Netzwerkes, so wie die Pflanzen, Tiere und auch alle anderen Lebewesen. Wir sprechen von Mutter Erde und geben Dank für unser Essen, dafür, dass wir wieder einen neuen Tag erleben dürfen, dafür, dass unser Leben einem Tanz gleicht und wir in achtsamer Betrachtung der Mitwelt unser Leben sich zum Wohle aller entfaltet. Kurz zusammengefasst – wir sind ein essenzieller Teil der Welt, nicht Herrscher über der Welt. Wir stehen auf einer Linie mit allem Lebendigen – nicht darunter und nicht darüber. Alles hat ein Bewusstsein – sei es Tiere, Pflanzen, Steine oder Wasser. Dieses dürfen wir jeden Tag erleben und erfahren – wenn wir die Augen und unser Herz öffnen. Dies zeigen die Danksagungen und Gebete der Ureinwohner Nordamerikas sehr deutlich, in denen der Mensch als Hüter der Erde dargestellt wird.

Und wir glauben daran, dass alles wiedergeboren wird – wir glauben an den Zyklus des Lebens: Geburt – Leben – Sterben – Geburt. Überall in der Natur ist es zu erkennen: große Zyklen, wie die Jahreszeiten, kleine Zyklen in den Tagen und den monatlichen Zyklus bei Frauen. Die Frauen sind die Wiedergebärerinnen – wie auch unsere Erde als Mutter Erde immer wieder Leben hervorbringt. Heide Göttner-Abendroth, Erforscherin lebender Matriarchate und Buchautorin, definiert den Wert der (Wieder-)Geburt als urweiblich. Die Denkweise „zum Wohle der nächsten 7 Generationen“ ist wieder urweiblich.

Geschenkeökonomie – Geben ist seliger denn Nehmen

Des Weiteren lag ursprünglich eine Geschenkökonomie bei den Ureinwohnern Nordamerikas vor. Diese ist mittlerweile zwar fast verschwunden – doch lässt sie es sich in Ansätzen noch erkennen. Nach einer Visionssuche oder einer großen Zeremonie gab und gibt es ein Give-Away Fest. So wurde ursprünglich alles an Eigentum an die Gemeinschaft verschenkt, als Ausgleich für die Geschenke, die diese Person in der Zeremonie geschenkt bekommen hatte. Je mehr verschenkt worden ist, umso größer war die Ehre dieser Person in der Gemeinschaft. Auch wusste man, dass bald wieder jemand anderes ein Give Away Fest machen würde, bei dem man selber wieder Geschenke bekommen würde. Der Wohlstand verteilte sich gleichmäßig im Stamm oder in der Gemeinschaft. Diese Geschenkökonomie gibt es immer noch bei vielen heutigen matriarchalen Gesellschaften – den Mosuo in China beispielsweise, den Hopis in Nordamerika und in der Provinzstadt Juchitán am Golf von Tehuantepec (Mexico). Die Ehre, zum Wohle aller beizutragen, ist größer als das Ansehen durch Besitz.

Egalitäre Gesellschaften – alle Menschen sind gleichwertig

Bei den meisten Indianervölkern liegt eine egalitäre Gesellschaft vor. Das heißt, dass Männer und Frauen gleichwertig sind. Eine Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen war vorhanden, jedoch keine Aufgabe war angesehener als eine andere Aufgabe. Das Überleben für die Gemeinschaft stand im Fokus – so war jede Tätigkeit ein Beitrag im Sinne des Überlebens. Sei es als Heiler, als Geschichtenerzähler, als Clanoberhaupt oder als Älteste. Die Kinder als zukünftige Generationen standen im Vordergrund und deren Überleben.

So wurden auch nur Konsensentscheidungen getroffen. Dies heißt, dass alle am Entscheidungsprozess beteiligt waren und in Einigkeit die Entscheidung gefällt haben. Diese Entscheidungsstruktur hat Göttner-Abendroth auch bei anderen matriarchalen Gemeinschaften gefunden.

Die indigene Clanmutter Dewasenta (amerikanischer Name Alice Papineau) vom Aal-Clan formuliert die politische Struktur folgendermaßen: „Sie haben nicht die Macht wie die Staatsoberhäupter in euren Demokratien, in denen immer eine Minderheit zu kurz kommt. Sind unsere Häuptlinge in politischer Mission unterwegs, sei es bei den Lakota in South Dakota oder bei der UNO in Genf, können sie nur vortragen, was im Konsens unter Beisein der Clanmütter besprochen wurde; stellt sich ein neues Problem, das eine Entscheidung verlangt, müssen sie es zu uns ins Langhaus tragen".

Früher gab es keine Ehe bei den meisten Indianervölkern. Die Frau blieb solange mit dem Mann zusammen, solange die Liebe währte. Dies konnte ein ganzes Leben sein oder nur eine kurze Spanne. Die Frau besaß das Tipi. Die Männer besaßen die Jagdgegenstände. Die Kinder gehörten zur Frau und zum Clan der Mutter. Die Stellung der Frau hatte eine zentrale Bedeutung – als Mutter der Kinder, als Wiedergebärerin und als Ernährerin. Sie wurde von den Männern geehrt und es wurde für ihren Schutz gesorgt. So verteilten die Frauen die Nahrung im Clan. Bei vielen Kursen mit Jon Young lehrte Jon eine Gesellschaftsform, in der die Frau geehrt wird und gleichwertig ist.

Mutterlinien

Die Clans wurden entlang der Mutterlinie gebildet. In der Tradition der Irokesen beispielsweise heiratet ein Mann bis heute in die Linie seiner Frau ein und wird damit zugleich Teil des Clans der Frau. Davon berichtet etwa Tom Porter, Lehrer und Ältester der Irokesen, in seinem Buch „And Grandma said … Iroquois Teachings“. Porter beschreibt zudem eine ausgeklügelte Clanstruktur, die zur Sicherung des Friedens untereinander und für gesellschaftlichen Zusammenhalt aller Clans sorgt. Laut Göttner-Abendroth hatten ursprüngliche Matriarchate auch eine Clanstruktur. Dies belegt sie anhand archäologischer Funde. Somit ein weiterer Hinweis, dass das ursprüngliche Sozialgefüge weiblich geprägt war. Entsprechend lehren wir das in der Ausbildung zur Wildnispädagogin und Wildnispädagogen.

Zeremonien – die spirituelle Heimat und Mittler zwischen dem „Unfassbaren“ und den Menschen

Die archelogischen Recherchen von Göttner Abendroth belegen, dass Zeremonien schon sehr früh entstanden waren. Dies lässt sich durch zeremonielle Abbildungen oder Figuren von Frauen, weiblichen Geschlechtsorganen oder Tierabbildungen erkennen. Bei den meisten Zeremonien wurde Mutter Erde und die Frau als Wiedergebärerin verehrt. Sie nimmt an, dass gerade die Zeremonien sehr für den Zusammenhalt und für die spirituelle Verbindung zwischen den Geschlechtern beigetragen haben. Näheres zu Zeremonien kann unter „Zeremonien und was wirklich dahinter steckt“ nachgelesen werden. Nach jahrelanger Recherche bin ich aufgrund dieser Aspekte zu der Überzeugung gekommen, dass die Fundamente der Wildnispädagogik auf weiblichen Werten basiert. So sind die Ausbildungen bei WIR – Kinder der Erde nach diesen Prinzipien aufgebaut – Naturverbundenheit, egalitäre Gemeinschaft, Konsensstrukturen und Zeremonien.

Text: Dr. Barbara Deubzer, Foto: Pixabay

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